"Lebensweisheiten" aus dem Internet

In letzter Zeit war ich sehr aufmerksam bei Facebook unterwegs und dabei ist mir aufgefallen, wie viele „Lebensweisheiten“ man in Form von Bildern und Sprüchen im Netz findet. Ich spürte deutlich, dass ich mich davon zunehmend genervt fühlte, konnte aber nicht sagen, warum. Ich sah genauer hin und mir wurden drei Dinge klar, die mich stören:

 

  1. Diese Sprüche erwecken den Anschein als seien sie in Stein gemeißelt

  2. Hier werden einfach vermeintliche Weisheiten pauschalisiert – dabei ist jeder Mensch anders

  3. Sie „suggerieren“, das man selbst nichts tun kann

 

 

Nachdem ich für diese Sprüche sensibilisiert war, spielte ich häufig mit dem Gedanken, da mal einen Kommentar darunterzusetzen und als dann in einer Facebook – Gruppe der Spruch auftauchte: „Nicht alle sind glücklich, die glücklich scheinen. Manche lachen nur um nicht zu weinen.“ las ich mir mal die bereits vorhandenen Kommentare durch. Sie lauteten: Stimmt und Wie wahr und Genau so ist es! Da juckte es mich in den Fingern und ich schrieb einen recht kritischen Kommentar darunter, dass diese Menschen selbst dazu beitragen, so zu scheinen. Daraufhin bekam ich eine Antwort zurück: „Die blödeste Antwort, die ich je gehört habe. Ich wünsche Dir dass du so ein Gefühl nie erleben musst.“ Früher hätte mich das total verunsichert und ich hätte lieber meinen Mund gehalten, als mit meiner Meinung zu polarisieren. Als ich diesen Kommentar las, erwog ich sogar für einen kurzen Moment, ihn so stehen zu lassen, habe mich aber dann doch entschieden, meine Meinung nochmal etwas ausführlicher zu erklären. Einfach um Missverständnisse auszuschließen. Denn im Gegensatz zur Annahme dieser Dame, die mich nebenbei gesagt überhaupt nicht kennt, kenne ich diese Gefühle nur zu gut. In den letzten Jahren habe ich einen Weg aus diesen Gefühlen gefunden und es war mir wichtig, das nochmal zu verdeutlichen. Gleichzeitig bemerkte ich freudig, dass es mich in diesem Fall nicht mehr traf, für meine Meinung kritisiert zu werden. Ich konnte ruhig bleiben und meine Meinung noch einmal ausführlicher vertreten, ohne das Gefühl zu haben mich verteidigen oder in irgendeiner Weise zurückschlagen zu müssen. Oder meine Meinung zurückzuziehen – auch das habe ich früher oft gemacht.

Inzwischen stehe ich viel häufiger zu meiner Meinung, auch wenn ich damit manchmal allein oder nur mit wenig Unterstützung dastehe. Deshalb ist meine Meinung nicht weniger wert, denn auch ich habe viele Erfahrungen gemacht. Auch auf die Gefahr hin, etwas vermessen zu klingen, habe ich vermutlich sogar mehr Erfahrungen gemacht, als viele andere in meinem Alter. Ich habe in den letzten Jahren wahnsinnig viel gesehen, gehört und durchgemacht und erlebe auch jetzt immer wieder neue Phasen. Was bei mir am meisten „aufgeweicht“ ist, ist dieses Entweder – Oder – Denken. Was spricht denn gegen ein Sowohl – Als auch?

Während ich an diesem Text schrieb, erhielt ich Antwort auf meine ausführliche Meinung und die Dame schrieb mir, dass sie ihre Tränen über den Verlust ihres Mannes zurückgehalten hat, um ihren Kindern nicht noch mehr weh zu tun. Eine klassische Entweder – Oder – Situation. Doch was spricht dagegen, mit Tränen in den Augen eine Stütze zu sein? Nichts! Mir selbst ging es, gerade im letzten Jahr oft so. Wenn man mit einer potenziell tödlichen Diagnose konfrontiert ist, ist das für alle schwer. Für mich, für meinen Mann, meine Familie und Angehörige und Freunde. In der Anfangszeit sah ich mich oft in der Position der Tröstenden. Allen zu versichern, dass es nicht so schlimm sei – in dem Bestreben, ihnen die Angst zu nehmen. Ich selbst blieb in dieser Zeit mit meiner eigenen Angst weitestgehend allein...Aber wie soll die auch jemand sehen, wenn ich sie verstecke?

Mit besagter Facebook – Schreiberin entspann sich darüber ein richtig gutes Gespräch, in der ich versuchte, ihr bewusst zu machen, dass sie mit dem Verdrängen ihrer Gefühle ihren Kindern und Enkeln auch etwas vorlebte! Nämlich „unerwünschte“ Gefühle zu verdrängen – doch ist das die richtige Botschaft? JEDES Gefühl will erlebt und gefühlt werden und ich denke, sie kann ihren Kindern dennoch oder vielleicht sogar dadurch eine gute Stütze sein. Gefühle GEMEINSAM zu erleben, GEMEINSAM zu weinen, kann auch unheimlich zusammenschweißen – das habe ich in den letzten Wochen oft erlebt. Seit ich meine eigenen Gefühle zulasse und diese mit anderen teile. Am deutlichsten drückte sich meine Psychoonkologin aus. Das ich in den ersten Wochen bzw. Monaten mit meiner Diagnose so extrem gefasst umgegangen bin, empfand sie oft als unheimlich. Seit ich „aufweiche“ und mal eigene Gefühle zulasse, kann sie viel besser mit mir arbeiten. Natürlich muss man immer abwägen, wie viel authentische Gefühle das Gegenüber verträgt, aber ich klammere sie nicht mehr kategorisch aus. Damit geht es bisher allen besser und ich habe durchweg positive Erfahrungen machen dürfen.

 

 

 

 

 

 

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