Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser - Ist das wahr?

Dieses Sprichwort ist wohl jedem vertraut und auch ich habe es damit in meinem Leben sehr genau genommen. Ich mochte keine Situationen, in denen ich keine Kontrolle über die Geschehnisse hatte. Eine Therapeutin, mit der ich darüber sprach, fragte mich einmal: „Was bräuchten Sie denn, um Kontrolle abgeben zu können?“ Ich überlegte kurz und antwortete dann: „Die Sicherheit, dass es gut ausgeht.“ Meine Therapeutin konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Da verlangen Sie aber ganz schön viel.“

Ich wurde still...ließ die Worte in mir ausklingen. Verlangte ich zu viel? Wieder griff die Work unwillkürlich in meine Gedanken ein und mir wurde klar, dass ich tatsächlich unheimlich viel verlangte. Vor allem von mir selbst. Denn das Leben ließ sich selten kontrollieren und dennoch erwartete ich das von mir. Das ich jede Situation unter Kontrolle hatte. Und dabei tat das Leben doch alles, um mir Situationen vorbei zu schicken, die ich absolut nicht kontrollieren konnte. Da waren zunächst erst einmal die Dissoziationen. Dissoziationen sind Zustände, in denen sich die Seele vom Körper abspaltet und auf Wanderschaft geht. Wann sie dies tut und wohin, kann ich nicht kontrollieren, auch wenn ich es gerne würde. Dann finde ich mich an Orten wieder, ohne zu wissen, wie ich dort hingelangt bin, tue Dinge, an die ich mich später nicht erinnere und so weiter...Das klingt ziemlich beängstigend und das ist es auch. Dann meine täglichen Kopfschmerz-Attacken, auch sie lassen sich absolut nicht kontrollieren und kommen zu den unpassendsten Zeitpunkten. Die Schmerzmittel, die ich aufgrund der Kopfschmerzen einnehmen muss, schlagen in dieselbe Kerbe. Sie verursachen Übelkeit, Schwindel und Krampfanfälle, gegen die ich ebenso machtlos bin, wie gegen die Schmerzen selbst. Und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie erniedrigend es ist, auf allen Vieren zur Toilette kriechen zu müssen, weil mir speiübel ist, ich aufgrund der Muskelkrämpfe aber nicht in der Lage bin, aufrecht zu stehen. Das Leben meint wohl, dass ich auf diese Weise lerne, meinen „Kontrollzwang“ aufzugeben und in gewisser Hinsicht habe ich da auch gar keine andere Wahl.

Ich habe diese Problematik mit Hilfe der Work von vielen Seiten beleuchtet und festgestellt, das ich ein großes Problem mit Ohnmachtsgefühlen jeglicher Art habe. Und das es mir dann hilft, ins Handeln zu kommen. Ich habe mir diesen Wunsch nach Kontrolle einmal näher angesehen.

Ich muss immer die Kontrolle über eine Situation haben!

Ist das wahr?

JA! Das kann ich ganz deutlich spüren. Es gab zu viele Situationen in meinem Leben, in denen ich nicht die Kontrolle hatte. In denen rücksichtslos ausgenutzt wurde, dass ich mich nicht wehren konnte. Es waren schmerzhafte Erfahrungen, die ich nicht nochmal erleben wollte.

Kann ich mir wirklich hundertprozentig sicher sein, dass ich die Kontrolle behalten muss?

Ich spürte auch hier ein JA...doch es kam sofort der Gedanke: „Sonst passiert etwas Schlimmes“ hinterher. Ich versuchte, diesen Aspekt mal außen vor zu lassen und spürte weiter nach. Andere Bilder stiegen in mir auf - Erinnerungen an Situationen, die ich nicht unter Kontrolle hatte und in denen dennoch nichts Schlimmes passiert war. Natürlich hole ich mir den einen oder anderen blauen Fleck, Prellungen oder beiße mir während eines Krampfanfalls auf die Zunge. Wenn ich mich in dissoziativen Zuständen selbst verletze, blutet es auch mal relativ stark. Aber ist das wirklich schlimm? Ist es bedrohlich? Das Bedrohlichste ist, wie ich überrascht feststellte, der Kontrollverlust selbst. Ich stellte mir die dritte Frage der Work.

Wie gehe ich mit mir um, wenn ich diesen Gedanken glaube?

Ich bin ungeduldig mit mir selbst, mache mich mit unausgegorenen Katastrophengedanken verrückt. Ich verurteile mich, wenn ich wieder einmal einer Situation ohne der nötigen Kontrolle begegnet war. Und ich verurteilte mich dafür, eigentlich wissen zu müssen, das ich mich nicht verurteilen sollte, nicht jede Situation kontrollieren zu können. Ein Teufelskreis...

Ich begann, Situationen, die ich nicht kontrollieren konnte, aus dem Weg zu gehen. Ich mied Menschenmassen, volle Straßenbahnen, wich Konfrontationen aus und schränkte mich immer weiter ein. Das nahm mir so viel Lebensqualität und Bewegungsfreiraum, das ich beschloss, etwas zu verändern. Mich zu verändern.


Wie wäre es ohne diesen Gedanken?

Für diese Frage ließ ich mir besonders viel Raum, ließ das unbändige Gefühl von Freiheit durch mich durchströmen. Wie toll wäre es, wenn alles was passiert, passieren dürfte...Ich wäre sehr viel sicherer und meine Aufmerksamkeit würde dem Leben gelten und nicht dem, was alles passieren könnte. Ich würde mich frei fühlen, stark und sehr viel gelassener. Ich könnte friedvoll mit schwierigen Situationen umgehen.


UMKEHRUNGEN

Die erste Umkehrung, die mir in den Sinn kam, war:

Ich muss nicht immer alles unter Kontrolle haben.

Inwiefern war das wahr...ich merkte, das sich trotz der Vorarbeit etwas in mir gegen diese Umkehrung sperrte. Da kamen wieder Gedanken um die Ecke á la „Aber ich muss doch...“ „Was ist, wenn...“ Ich ließ sie in aller Ruhe vorbeiziehen, dann tauchten Bilder von Situationen auf, in denen ich keine Kontrolle hatte. Keine der Situationen war lebensbedrohlich gewesen. Es mag seltsam klingen, aber ich hatte in diesem Augenblick das Gefühl, das mein Körper sehr genau wusste, wie weit er gehen kann. Wie viel Schmerz ich aushalten kann, auch wenn ich es selbst kaum glaube. Ich war während den Dissos im Straßenverkehr bisher weder gestürzt, noch angefahren oder ausgeraubt worden.

Ich darf Kontrolle abgeben

Inwiefern war das wahr? Vor allem während meiner Klinikzeiten habe ich oft die Erfahrungen gemacht, das meine Mitpatienten eine gewisse Verantwortung für mich übernahmen, in dem sie instinktiv dafür sorgten, dass ich während der Gruppengespräche nicht dissoziierte. Sie bauten mich auf, wenn ich ganz unten war, nahmen mich in den Arm und holten mir Eispacks aus dem Schwesternzimmer, wenn ich vor Schmerzen weinte. Ich bat nicht darum, sie taten es einfach weil sie es wollten. Obwohl ich es absolut nicht mag im Mittelpunkt zu stehen, war es eine sehr berührende Erfahrung.

Nach und nach lernte ich, Kontrolle ab- und aufzugeben. Heute kann ich mich mit Bus und Bahn durch Leipzig bewegen, ohne zu dissoziieren. (Es sei denn, sie sind überfüllt) Wenn Gedanken an Kontrolle wieder mal auftauchen, lächle ich nur, denke Jaja... - und weg sind sie. Klappt nicht immer, aber immer öfter.

 

Liebe Grüße

Steffi


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